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Beim diesjährigen Tag der offenen Tür berichtete
Bendix Landmann von seinem Medico-Crashkurs - nebst der Demonstration der richtigen
Bergung einer potentiell unterkühlten Person.
Eine Seglerin, die in ihrem bürgerlichem Leben Intensiv-OP-Schwester
ist, berichtete uns einmal ganz stolz, das sie keine Schwierigkeiten
habe, als Crewmitglied bei Hochseeracern anzuheuern. Solche Crews wissen
nur zu gut, dass während einer Regatta schnell einmal ein
Bordmitglied verletzt wird. Ein Arzt oder Sanitäter respektive eine OP-
Intensivschwester ersetzt schnell den Abbruch eines Race, um z.B. ein
Mitglied abbergen zu lassen, oder - noch schlimmer - den Pfarrer. Die haben
schon gute Gründe, den Arzt gleich mit an Bord zu haben. Ausgerenkte
Schultern, abgequetschte Finger, die in der Schnelle gleich mit in die
Winsch geraten waren, können so in einer Not-Operation gleich professionell
versorgt werden. Hand aufs Herz, KameradenInnen, wie lang ist's her, als
man seinen letzten ''Erste-Hilfe-Kurs`` absolviert hat?
Der Kreuzer-Yachtclub Deutschland (KYCD) bietet im Rahmen seiner neuen
Module nach ISAF-Standard solche Medico-Crash-Kurse an. Mit einem Erste-
Hilfe- Kurs für Skipper hat das nur noch sehr entfernt etwas zu tun. Es
ist ein Notfallsanitäter-Kurs für Sportbootschiffer. Die Vermittlung von
Spezialwissen, wie man es bei Lebensbedingungen auf See benötigt, ist die
besondere Note, die hier vermittelt wird. Drei Ärzte aus
unterschiedlichen Fakultäten warteten bei diesem Wochenendseminar auf.
Ein Allgemeinmediziner, ein Anesthesist und ein Zahnarzt, jeder einzelne
mit gut und gerne 30 Jahren Berufserfahrung pro Person, sind da anwesend
gewesen. Man wird Nutznießer von geballtem empirischem Fachwissen. Die
Highlights waren Umgang mit der Kommunikation mit dem an Land befindlichem
notärztlichen Dienst. Hierzu existieren international und nationale
Anamnesebögen, die in der richtigen Weise ausgefüllt eine Kommunikation
zwischen Laie an Bord und dem Notarzt in Cuxhaven oder der nationalen Medico-
Abteilung über Funk ermöglichen. Danach erfolgen erste Anweisungen durch
den Arzt vom Dienst (AVD) an die Mannschaft auf See. In vermutlich 90%
der Notfälle wird das Anlaufen des nächsten Hafens erforderlich
sein. Die Zeit läuft aber, bis sie im Hafen ankommen, und die ist
lebensentscheidend! Abbergen mit dem ''Sea-King`` (BW-Helikopter) auf See
geht bei Seglern nicht, oder aber ihr legt den Mast.
Es wurde sogar die Fragestellungen diskutiert, wie eine Mannschaft
verfahren kann, wenn sie auf einem langem Seetörn ein Mitglied durch
Herzschlag verliert. In tropischen Gefilden ohne Kühlung an Bord kann
man z.B. einen Toten nicht länger als drei Tage mitnehmen. Was tun?
Vielleicht haben sie ja dann einen Juristen für internationales Seerecht
an Bord.
Nach diesem Exkurs folgte ein frischeres Thema, und zwar die Behandlung
von Erfrierungen z.B. nach MOB. Das richtige Abbergen eines Unterkühlten
bis hin zur dann folgenden Lebenssicherung ist Spezialwissen, das
bestenfalls Sanitäter von Marineeinheiten oder Spezialforces lernen. Gut
zu wissen, dass man so etwas lernen kann und damit seinen eigen Wert an Bord von
Chartercrews in jedem Fall aufpoliert. Als Medico reicht es dann allemal,
um sich sogar gleich hinter der Position des Skippers oder dem Smut in
der Hirachie einzureihen. In einem alten Seefahrerbuch hatte ich vor
einigen Jahren eine Abhandlung über Behandlung von Unterkühlung gelesen.
Die Anweisung endete mit der Empfehlung, dass man den Unterkühlten mit
zwei nackten, natürlich auch die eigene Bordfrau, wie ein Sandwich in
der Mitte wärmt. Besonders humorvoll fand ich dann noch die in alter
Sytterlinschrift in Klammern gesetzten Anweisung (... falsche Scham
ist hier unangemessen). Bis zu Erfrierungen ersten Grades dürfte dies
wohl tatsächlich zutreffen. Bei Erfrierungen zweiten Grades mit
eingetretener Bewusstlosigkeit kann dies aber auch zum Gegenteil
führen. Ein Erfrierungskranker muss vor allem in spezieller
''Schichtweise`` in verschiedenen Schichten von gut warmhaltenden
Materialien verpackt werden. Der menschliche Körper wärmt sich dann um
0,5 bis 0,7 °C pro Stunde selbst wieder an. Wird der
Bewusstlose von außen künstlich aufgewärmt kommt es zu dem zu schnellen
zurückströmen des erkalteten Blutes in den Extremitäten und der
gefürchtete Herzschlag der noch funktionierenden inneren Organe würde
folgen. Seeleute, die mit Unterkühlung 2. Grades von Helikoptern abgeborgen
wurden, sind zu 50% oben tot am Helikopter angekommen. Warum? Weil das
warme Blut beim Lifting in die Beine sackte und den Kreislauf durch
nachströmendes Blut aus Armen kolabieren lässt. Es darf nur horizontal
abgeborgen werden! Das trifft dann
übrigens auch für MOB zu, die man aus
dem Wasser an Bord holt! Jo - da war doch letztes Jahr beim Tag der
offenen Tür das mit dem Trysegel, genau!
Das nächste Medicomodul bestand aus einem operativem praktischem Teil.
Jeder Teilnehmer bekam eine Schweinshaxe oder Schenkel einer Sau auf
einem Pappteller gereicht in dem ein mittelgrosser Angelhaken mit
Widerhaken tief im Fleisch steckte und eine klaffende Wunde zu sehen
war. Danach wurde chirugisches Werkzeug ausgeteilt wie Nadelhalter,
Pinzette, Skalpell und sterile OP-Handschuhe etc.. Der ''Chefarzt``
zeigte nun, coram publico, wie man eine Naht auf der Haxe, setzt um eine
schwere tiefe klaffende Fleischwunde wieder zu nähen. Selbst eine
Notamputation von abgerissenen Gliedmaßen durchzuführen und die
Verschließung von pulsierenden Gefäßen wäre für mich nun - nach dem Kurs -
möglich. Inklusive lokaler Anesthesie - die Notamputation mit
Beissholz und einer Kohorte von Leuten, die einen armen Seemann
festhalten, ist historische Lektüre aus früheren Zeiten, wo der
Wasserfeldscherer sein bestes gab. Beginnend von der sterilen
Vorbereitung bis zur Desinfizierung der Wundbereiche lernten wir Skipper
inklusive Bordfrau Notoperationen am real existierend Modell. Da ich im
klinischen Alltag arbeite, sind mir die Kantienengespräche über die
Preparationskurse der Mediziner gut bekannt. Jedoch plötzlich selbst vor
einer solchen Situation zu stehen war schon ein besonderes
beeindruckendes ''Schmankerl``. Die Einhandsegler unter uns konnten dann
gleich üben, wie das dann z.B. an sich selbst zu praktizieren wäre. Pech
nur, wenn man sich dann am Rücken wieder zusammenflicken müsste.
Danach wurde die Anwendung der Bordapotheke und die verschiedenen
Medikamente besprochen. Hier wurde dem Thema der Seekrankheit auch eine
gewisse Zeit eingeräumt.
Zu guter letzt kam der Bereich der Reanimation, d.h. die Wiederbelebung
eines Patienten nach Atem- und Herzstillstand. Hierzu wurden drei
Reanimationspuppen zu Verfügung gestellt, wovon einer der Medicodummys
auch einen internistischen Computer inne hatte. Man konnte also die
Pulsfrequenz und die Sauerstoffsättigung an externen Monitoren sehen,
während man mit Herzmassage und Beatmung an der Puppe arbeitet. Wer eine
Reanimation einmal für 15 Minuten durchzuhalten versucht hat, kann dann
erahnen, wie man so etwas für eineinhalb bis zwei Stunden durchhalten
soll. Dies ist genau die Zeit, die man durchhalten muss, bis man
endgültig aufgibt oder professionelle Rettungskräfte mit einem
Defibrilator an Bord sind. Dieser Medico-Edeldummy hatte sogar einen
rechten Arm, an dem wir lernten, intravenöse Zugänge zu legen, um dann
eine Kochsalzlösung oder Schmerzmittel dem Patienten intravenös
zuzuführen. Die Venen an dem Dummy waren so realistisch, das man eine
Braunüle setzten konnte. Wenn es nicht funktionierte, hatte man die Vene
eben nicht getroffen. Umgekehrt war die Erleichterung groß, wenn die
Infusion in den Arm des Dummys tropfte und man hatte das Gefühl, die
Puppe zum leben zu erwecken. Diese realistische Übung am Dummy-Objekt
war ein echtes Highlight des Wochenendseminar.
Wir übten in einem ruhigen beheizten Raum eines Yachtclubs, und an den
Fenstern sah man die Ozeanriesen aus dem Hamburger Hafen auslaufen, um
auf große Fahrt zu gehen. Das ganze stelle man sich - bei sagen wir
mal 5-6 Bft. - in der engen Pantry einer Neptun vor, wobei der Kahn wie
ein Korken auf den Wellen tanzt. Oft wurde diskutiert, wie man einen
Notfall ohne ausreichende Mannschaften überhaupt bewerkstelligen will.
Was macht man mit dem Boot, wenn alle zur Reanimation gebraucht werden?
Treibanker setzen, ggf. beidrehen und Pinne fixiere?
Alles in allem ein sehr zu empfehlendes Seminarwochende zum wirklich
kleinen Preis. Gemessen an den Kurskosten hatten wir Teilnehmer sehr
viel davon und unsere Lehrer vermutlich abends jede Menge
Schweinebraten, der als Barbecue in Erinnerung an einen guten Kurs
veredelt wurde. Nur die lästigen Nähte an der Haut erinnerten noch an
das Tageswerk, vielleicht war es aber auch nur das Netz vom Rollbraten.
Autor: Bendix Landmann
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